Freitag, 17. Juni 2011

Diskussion mit NZZ Autor Hirstein

1. Mail an Hirstein von Christina Marchand

Sehr geehrter Herr Hirstein

Mit Interesse verfolgen mein Mann und ich ihre Artikel in der NZZ am Sonntag. Als wir das erste Mal gesehen haben, dass es eine Reihe zum Thema "Energie für die Zukunft" gibt, waren wir hoch erfreut. Als wir dann aber gesehen haben, wie es umgesetzt wird, konnte wir es kaum glauben.
 Ich weiss nicht genau, ob sie zu dem Klimaleugnern (Skeptiker wäre ein zu grosses Kompliment) gehören, aber ihre Artikel klingen ganz danach. Sehr subtil machen sie alle Formen von erneuerbaren Energien schlecht, schüren Ängste, betonen die Mängel, vergleichen Äpfel mit Birnen, und nun im letzten Artikel (der allerdings nicht zur Serie gehört) über die Windenergie bemühen sie sogar einen sehr fragwürdigen Artikel aus dem New Scientist und hängen ihren Artikel gross daran auf. Das ist kein neutraler Journalismus mehr, das ist Populismus und stinkt stark nach einer gezielten Diffamierung der Erneuerbaren Energien, mit dem Ziel der Verunsicherung und der Angstmache. Zu einer Zeit, in der sich 99% der seriösen Wissenschaftler einig sind, dass wir dringend Massnahmen gegen den Klimawandel ergreifen müssen, schreiben sie Artikel, als wäre das ein "Nice to Have" Thema, wo wir erst mal warten können, bis alles stimmt und nichts mehr schief gehen kann. Das mit der jetzigen Technologie alles schief geht und zwar mit 95%iger Sicherheit, das erwähnen sie aber nicht.

Leider ist der Normalleser meist nicht in der Lage ihren subitlen Ton zu durchschauen. Wenn man aber Experte ist und sich wie mein Mann und ich seit Jahren  mit Wetter und Energie beschäftigt, dann streuben sich einem die Nackenhaare beim Lesen. Ihre Serie ist mit ein Grund, warum wir die NZZ am Sonntag nun auch noch abbestellen.

Offenbar sind sich die Medien ihrer Verantwortung noch nicht gewahr, die sie beim Bekämpfen des Klimawandels haben. Oder es ist zu vermuten, dass es starke Kräfte gibt, die die Medien nun dazu nutzen den nötigen Wandel gar zu verlangsamen.

Antwort von Hirstein

Sehr geehrte Frau Marchand,
danke für Ihr Feedback. Ich möchte Ihnen dazu kurz antworten.
Der Artikel vom vergangenen Sonntag behandelt eine Frage, die in der Wissenschaft seit längerem diskutiert wird: wie beeinflussen Windkraftanlagen das Klima? Das ist eine legitime Frage, denn es handelt sich hierbei nicht mehr um kleine Windräder im Vorgarten von Einfamilienhäusern, sondern um Grosskraftwerke. Dazu gab es nun eine provokante und umstrittene Studie, und ich kann nichts Schlechtes daran finden, diese aufzugreifen. Im Unterschied zum New Scientist habe ich die Gegner der Studie ausführlich zu Wort kommen lassen (unter anderem mit der Aussage "Das ist schlechte Wissenschaft")
Ihre übrige Kritik an der Serie ist sehr pauschal. Ich kann deswegen nicht konkret darauf eingehen. Grundsätzlich bin ich aber tatsächlich der Meinung, dass es wichtig ist, kritisch aber fair über erneuerbare Energien zu berichten. Und dazu gehört zum Beispiel die Einsicht, dass es keine billige, CO2-freie, unbegrenzte und risikofreie Energie gibt. Diese Legende wird zwar gerne und oft verbreitet, aber sie stimmt trotzdem nicht. Schauen Sie sich die vielgelobte Energiepolitik in Deutschland an: wie entwickeln sich dort die Strompreise und wie viele neue Kohlekraftwerke werden dort gebaut? (Der Glaube, man könne alle AKWs in kurzer Zeit durch erneuerbare Energie ersetzen, ist in der Realität schon längst widerlegt - trotz dreistelligen (!) Milliardenbeträgen, die deutsche Stromkunden dank dem EE-Gesetz zahlen (werden))
Man kann den Ausstieg aus der Kernenergie trotzdem befürworten - kein Problem - aber man muss dann auch darüber berichten dürfen, was es kostet (in Franken oder an Einschränkungen im täglichen Leben) und welches die Umweltkosten sind und welche technischen Heruasforderungen zu lösen sind (Netzausbau, Produktionskapazitäten für Solarzellen, fossile Reservekraftwerke etc.) Ich glaube, die Energieversorgung ist kein Wunschkonzert, sondern ein sehr teures und träges System, das man nicht von heute auf morgen verändern kann - nicht weil böse Mächte es so wollen, sondern weil es gewissen physikalischen Randbedingungen unterliegt. 
Mit besten Grüssen
Andreas Hirstein
 
 2. Mail an Hirstein von Christina Marchan

Sehr geehrter Herr Hirstein

Danke für Ihre schnelle Antwort. Leider befriedigt mich diese nicht. In der Geschichte der Menschheit hat es schon oft Fälle gegeben in denen die Presse, Industrie und andere Kräfte betont haben, wie wichtig es ist immer beide Seiten zu beleuchten und eine ausgeglichene Berichterstattung zu bringen. Das war vor allem bei der Tabakindustrie, aber auch bei Diskussionen um den sauren Regen und z.B. das Ozonloch der Fall. Gott sei dank, konnte sich in diesen Fällen die Wissenschaft und die Öffentlichkeit aus den Fängen von kriminellen Beeinflussern befreien und wichtige Entscheidungen treffen. Es hat aber viel länger gedauert, als nötig. Beim Klimawandel und den erneuerbaren Energien wiederholt sich hier die Geschichte. Es gibt keine zwei Seiten vom Klimawandel. Die Fakten sind klar und es ist falsch verstandener Journalismus hier noch den Leugnern eine Plattform bieten zu wollen. Wir haben nur nicht mehr 20-30 Jahre um zu warten, das alle Auswirkungen und Konsequenzen des Klimawandels bewiesen ist. Wir Länder mit hohen Einkommen und grossem Potential an Erneuerbaren müssen voran gehen und zeigen, dass wir eine Umstellung schaffen. Und das klappt nur, wenn die Medien diesen Weg unterstützen und der Öffentlichkeit Mut machen. 

Wenn die NZZ die wissenschaftliche Meinung ausgewogen wiedergeben wollte, dann müsste also auf 99 Artikeln über den Klimawandel und den drohenden Konsequenzen ein Artikel über potentielle Fehler in der Wissenschaft kommen. Dieses Verhältnis sehe ich aber nicht. Auch hier bei der Windenergie wird nun ein Artikel herausgegriffen und gross aufgezogen. Den Titel und die wilden Behauptungen werden zwar im Text mit einer Gegenmeinung versehen. Aber der ganze Artikel verzerrt offensichtlich die Sicht und die Gewichte der Studien.

Warum bringen sie nicht einfach erst mal Studien, wie unglaublich effizient Windenergie ist? Warum nicht auf der Titelseite eine Warnung über den Ernst des Klimawandels . Erst vor kurzen haben 20 Nobelpreisträger und andere Wissenschaftler die Welt auf die Gefahren hingewiesen. In der NZZ wurde das knapp erwähnt.

Ich bin sicher, dass es eine grosse technische und gesellschaftliche Herausforderung ist, die Energieversorgung umzustellen. Aber es gibt genug Studien, die den genauen Weg dahin aufzeigen. Warum bringen sie diese nicht? Die Mehrkosten für Sonnen oder Windstrom liegen bei ca. 100 CHF pro Person und Jahr in der Schweiz. Da kann man wohl schwerlich von riesigen Kosten und Einschränkungen im täglichen Leben sprechen. 

Ihre Artikel hinterlassen den Eindruck, dass sie diesen Weg gar nicht gehen wollen. Mit solch einer Einstellung kann man natürlich keine ermutigenden Artikel über den Energiewechsel machen. Ich würde mir wünsche, dass die NZZ den Mut hat, diese Artikel von Menschen schreiben zu lassen, die einen positiven Weg aufzeichnen können. Wenn sie so besorgt sind über die vielen Kohlekraftwerke in Deutschland, dann könnten sie ja mal eine Studie zu den Gefahren der Kohlekraft und den Schweizer Firmen machen, die immer noch dort investieren. Ich habe da eine vortreffliche Quelle.

Danke und mit Gruss
Christina Marchand



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