Offener Brief von 24 Wissenschaftlern an die Repower AG und die SN Energie AG zur Beteiligung an Kohlekraftwerksprojekten im Ausland
ERKLÄRUNG ZUR WIRTSCHAFTLICHKEIT UND KLIMAVERTRÄGLICHKEIT VON NEUEN KOHLEKRAFTWERKEN
August 2011
Kraftwerksbetreiber sehen sich zunehmend schwierigeren Investitionsentscheidungen ausgesetzt. Während die Planung von Grosskraftwerken ein langfristig stabiles Investitionsklima erfordert, verursachen sich ändernde politische und marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen Unsicherheiten über die zu erwartenden Kosten und Erlöse verschiedener Stromerzeugungstechnologien. Dies betrifft insbesondere Kohlekraftwerke, die nicht nur aufgrund ihrer Klima- und Umweltwirkung in der Kritik stehen, sondern für die sich im Vergleich zu flexibleren und klimafreundlicheren Energiequellen zukünftig ebenfalls schlechtere ökonomische Bedingungen abzeichnen.
Mit dieser Erklärung möchten die Unterzeichner/innen die wirtschaftlichen Perspektiven der Stromgewinnung aus Kohle aufzeigen und vor dem Investitionsrisiko neuer Kohlekraftwerke warnen.
Klimarisiko Kohlekraft
Kohlekraftwerke sind die klimaschädlichste Art der Stromerzeugung. Allein die Emissionen der geplanten Kohlekraftwerke im deutschen Brunsbüttel und im italienischen Saline Joniche entsprechen mit etwa 17,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr rund 40 Prozent des gesamten inländischen Schweizer CO2-Ausstosses. Aufgrund der langen Regelbetriebsdauer von über 40 Jahren werden die heutigen Investitionsentscheidungen den Energiemix der Zukunft über viele Jahrzehnte strukturell festlegen. Mit Ihren Auslandsinvestitionen in die Kohleverstromung verhindern sie den schnellen Übergang zu einer nachhaltigen Energieversorgung.
Kosten von CO2-Emissionsrechten
Ein wichtiger Wirtschaftlichkeitsfaktor für die Stromerzeugung mit Kohle sind die Kosten für CO2- Emissionsrechte im Rahmen des europäischen Emissionshandels. Da die EU beschlossen hat, die erlaubte Menge an Emissionsrechten schrittweise abzusenken und ab 2013 die unentgeltliche Zuteilung der Zertifikate für Energieerzeuger abzuschaffen, müssen sich auch die Betreiber von Kohlekraftwerken auf Mehrkosten einstellen. Die zukünftigen Marktpreise lassen sich kaum belastbar abschätzen, da sie einer Reihe von langfristig unsicheren Rahmenbedingungen unterliegen. Mit steigenden Kosten für CO2-Emissionsrechte können sich Kohlekraftwerke immer seltener gegen weniger CO2-intensive Energieträger – wie erneuerbare Energien und Erdgas – behaupten. Nur bei einer hohen Auslastung von mehr als 5000 bis 6000 Stunden erreichen Kohlekraftwerke dann noch einen Kostenvorteil gegenüber konkurrierenden Gaskraftwerken. Auch die vieldiskutierte Möglichkeit der CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS), mit der CO2- Emissionen zu etwa 70 bis 80% vermieden werden können, ist kaum als Lösung für heute gebaute Kraftwerke zu betrachten. Derzeit ist noch völlig offen, mit welchen Zusatzkosten CCS in grosstechnischem Massstab realisiert werden kann und ob hinreichend Akzeptanz in der Bevölkerung für die Speicherung des abgetrennten CO2 zu finden sein wird.
Kapitalkosten
Investitionen in kohlegefeuerte thermische Kraftwerke zur Stromerzeugung zeichnen sich durch hohe Kapitalkosten aus, die häufig über eine Fremdfinanzierung wie z.B. durch Banken gedeckt werden. Die zunehmend unsichere Rentabilität mit den möglichen Nachrüstauflagen von CCS spiegelt sich auch in den Kapitalkosten wider: Finanzinstitute verlangen im Vergleich zu früheren Kraftwerksprojekten höhere Zinsen oder ziehen sich ganz aus der Finanzierung von Kohlekraftwerken zurück, so dass neben den variablen Kosten auch die Kapitalkosten des Kraftwerkbetriebs höher sind.
Unsichere Ertragsaussichten
Die genannten Rahmenbedingungen verteuern den Betrieb von Kohlekraftwerken. Kraftwerksinvestitionen sind nur so lange vorteilhaft, wie die durchschnittlich erzielbaren Erlöse für den erzeugten Strom über den durchschnittlichen Produktionskosten (inkl. Investitionskosten) liegen. Um also die höheren Brennstoff-, CO2- und Kapitalkosten decken zu können, sind eine hohe Auslastung der Kraftwerke über die gesamte Lebensdauer und/oder höhere Strompreise erforderlich. Doch gerade diese hohen Jahresbetriebsstunden können nicht langfristig vorausgesetzt werden. Aufgrund des bevorzugten Netzzugangs der erneuerbaren Energien in Deutschland werden die Einsatzmöglichkeiten von Grundlastkraftwerken in Zukunft deutlich eingeschränkt. Vor allem die wachsende Menge von Stromerzeugung durch Windkraft erfordert eine Flexibilisierung des übrigen Kraftwerkparks, der sich an die schwankenden Einspeisemengen der Erneuerbaren anpassen muss. Die typischerweise auf Grundlastbetrieb ausgerichteten Kohlekraftwerke sind jedoch zu schwerfällig, um flexibel genug auf die schwankende Nachfrage reagieren zu können. Insgesamt sind somit trotz Atomausstieg in Deutschland eher ein Überangebot an Grundlastkraftwerken und Unterauslastungen von Kohlekraftwerken zu erwarten. Dass die Strompreise über einen langen Zeitraum ausreichend hoch sein werden, um die genannten Kostenrisiken auch mit geringeren Einsatzzeiten der Kraftwerke ausgleichen zu können, ist mehr als fragwürdig. Auch alternative Vertriebsstrategien, wie die mögliche „Veredelung“ des Kohlestroms mithilfe von Pumpspeicherkraftwerken, sind wirtschaftlich höchst riskant. Nur eine ausreichende Preisdifferenz zwischen dem eingesetzten Grundlaststrom und dem produzierten Strom zu Spitzenlastzeiten kann die Transportkosten und Wirkungsgradverluste der Pumpstromspeicherung auffangen. Mit zunehmender Liberalisierung der Strommärkte, Überkapazitäten an Grundlastkraftwerken, Strategien zur Anpassung der Stromnachfrage und dem Zubau von flexibleren Gaskraftwerken zeichnen sind jedoch immer kleinere Preisspannen ab. Während im Jahr 2008 noch Spitzenpreise an der deutschen Strombörse von bis zu 160 Euro je Megawattstunde zu beobachten waren, lag der höchste Marktpreis im Jahr 2010 nur noch bei rund 80 Euro. Zusammengenommen stellt die Unsicherheit über zukünftige Kosten und Erlöse ein gravierendes Risiko für die Rentabilität von neuen Kohlekraftwerken dar.
Der Bau und Betrieb von Kohlekraftwerken ist somit nicht nur aus umwelt- und klimapolitischer Sicht kontraproduktiv, sondern auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen zweifelhaft. Die UnterzeichnerInnen dieser Erklärung raten daher der Repower AG und der SN Energie AG dringend von einer Investition in neue Kohlekraftwerke ab.
UNTERZEICHNERINNEN
· Dr. Irene Aegerter, Vize-Präsidentin Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften · Prof. Dr. Andrea Baranzini, Haute École de Gestion Genève · Prof. Dr. Thomas Beschorner, Institut für Wirtschaftsethik, Universität St.Gallen · Prof. Dr. Lucas Bretschger, Center of Economic Research, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Prof. Dr. Stephanie Engel, Institut für Umweltentscheidungen, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Prof. Dr. Jürg Fuhrer, Leitung der Gruppe Lufthygiene/Klima, Agroscope Reckenholz-Tänikon Research Station ART · Dr. Justus Gallati, Institut für Betriebs- und Regionalökonomie, Hochschule Luzern Wirtschaft · Prof. Dr. Martin Grosjean, Geographisches Institut der Universität Bern · Prof. Nicolas Gruber, Institut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Prof. Dr. Heinz Gutscher, Professor für Sozialpsychologie, Präsident ProClim (Forum for Climate and Global Change), Swiss Academy of Sciences · Dr. Rolf Hügli, Generalsekretär der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW · Dr. Rolf Iten, Geschäftsleiter INFRAS · Prof. (em.) Dr.-Ing. Eberhard Jochem, CEPE (Centre for Energy Policy and Economics), Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Prof. Dr. Gebhard Kirchgässner, Schweizerisches Institut für Aussenwirtschaft und Angewandte Wirtschaftsforschung, Universität St. Gallen · Roger Nordmann, Nationalrat, Mitglied der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie, Lausanne · Prof. Dr. Thomas Nussbaumer, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich und Hochschule Luzern, Inhaber von Verenum (Ingenieurbüro für Verfahrens-, Energie- und Umwelttechnik) · Prof. Dr. Thomas Peter, Institut für Atmosphäre und Klima, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Dr. Rudolf Rechsteiner, selbständiger Wissenschaftler, Publizist und Inhaber des Beratungsunternehmens re-solution.ch · Dr. Christoph Ritz, Geschäftsleiter ProClim (Forum for Climate and Global Change), Swiss Academy of Sciences · Prof. Dr. Sergio Rossi, Inhaber des Lehrstuhls für Makroökonomie und monetäre Ökonomie, Universität Freiburg (Schweiz) · Prof. Dr. Roland Scholz, Institute for Environmental Decisions, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich · Prof. Dr. Philippe Thalmann, Research Group on the Economics and Management of the Environment, École Polytechnique Fédérale de Lausanne · Dr. Frank Vöhringer, École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Econability · Prof. Dr. Andreas Zuberbühler, Präsident des Wissenschaftlichen Beirats Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften
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